Anton Räderscheidt

Camp de Gurs

Der Maler der Neuen Sachlichkeit

1936-1942

Camp de femmes, 1940
Gouache

Anton Räderscheidt

„Camp de Gurs“ war das größte Internierungslager, das 1939 in Südfrankreich am Fuße der Pyrenäen nahe der spanischen Grenze errichtet wurde. Ursprünglich für die Unterbringung von Soldaten der republikanischen Armee – der antifaschistischen Internationalen Brigarden – nach dem Ende des spanischen Bürgerkrieges vorgesehen, wurden bald unterschiedlichste Personengruppen aus politischen und rassistischen Gründen bis 1943 dort festgehalten. Insgesamt waren über 60.000 Menschen in Gurs interniert.

Für viele der Deportierten bedeutete Gurs nur den Beginn eines Leidensweges in die Konzentrationslager des Ostens. Ab März 1942 veranlasste der Leiter des Judenreferates der Gestapo und Bevollmächtigte Eichmanns in Frankreich, Theodor Dannecker, Transporte nach Auschwitz, Lublin-Majdanek, Sobibor und in andere Vernichtungslager, wo die meisten kurz nach ihrer Ankunft ermordet wurden. Der erste Transport verließ Gurs am 6. August 1942 und fuhr über Drancy bei Paris „mit unbekanntem Ziel“ Richtung Osten.     Ab 1941 gab es auch gelegentliche Verlegungen von Gurs in andere französische Lager. So kamen im Frühjahr desselben Jahres kinderreiche Familien in die Lager Rivesaltes oder Récébédou, was der jüdischen Hilfsorganisation O.S.E. (Oeuvre de Secours aux Enfants) ermöglichte, aus diesen Lagern mehrere hundert Kinder zu retten.

„Spät nachmittags kamen wir in Oloron an, von wo uns Camions in kurzer Fahrt ins Camp de Gurs brachten. Es regnete. Der größte Teil des Gepäcks wurde gesondert gefahren. Dies brachte bedauernswerte Schwierigkeiten insofern, als es viele Wochen dauerte, bis es gelungen war, den Eigentümern ihre Koffer und sonstigen Habseligkeiten aus dem zu einem hohen Berg aufgestapelten Gepäck auszusuchen. Viele Sachen blieben vermisst; bei vielen konnten die Besitzer nicht ermittelt werden. Besonders schmerzhaft waren jene Verluste, die dadurch entstanden, dass das Gepäck im Freien lag und dem Regen ausgesetzt war.
Es war bereits dunkel geworden, als die Autos vor den Ilots (Blocks) hielten. Da standen sie, die Unglücklichen, die Vertriebenen nun bald in den Baracken, die ihre Unterkunft werden sollten auf unbestimmte Zeit. Werden es Monate, Jahre sein? Vom Regen durchnässt, frierend, von der langen beschwerlichen Bahnfahrt erschöpft, schauten sich die Menschen in den leeren Baracken nach einer Möglichkeit um zum Sitzen oder zum Liegen. Keinerlei Sitzgelegenheit bot sich ihnen. Am Boden Strohsäcke oder Stroh oder gar nichts! Auf ihrem Gepäck sitzend – soweit sie solches hatten – verbrachten viele, darunter über 70- und 80jährige Männer und Frauen, diese erste Nacht im Camp, körperlich und seelisch zerrüttet“.

Über die Situation in Gurs, die katastrophalen hygienischen Zustände und die mangelhafte Verpflegung liegen zahlreiche weitere erschütternde Briefe und Augenzeugenberichte vor. Der Beauftragte einer Schweizer Hilfsorganisation, R. Olgiati, der am 16. Januar 1941 das Lager Gurs besuchte, fasste seine Eindrücke unmittelbar nach seinem Besuch in einem ausführlichen Bericht zusammen:

„Die niederen Holzbaracken sind von primitivster Bauart, mit undichten Wänden, durchlöchertem Boden. Ursprünglich hatten sie keine Fenster und auch jetzt besitzen nur wenige diesen Luxus, so dass die Insassen sich den ganzen Tag in völliger Dunkelheit befinden, nur abends werden während einiger Stunden die vorhandenen spärlichen elektrischen Lampen unter Strom gesetzt. Die wenigen Waschgelegenheiten befinden sich außerhalb der Baracken und sind sehr oft defekt, während der Kälte eingefroren. Die W. C. befinden sich ebenfalls außerhalb der Baracken und sind halb offene Verschläge mit Kübeln, wie sie auf Bauplätzen zu sehen sind. Das allerschlimmste ist der Lehmboden, der durch die vielen Regenfälle dieser Gegend und durch das viele Begehen in ein Schlamm-Meer verwandelt wurde, das vielfach ganz unpassierbar ist und das bewirkt, dass das Herausgehen aus den Baracken für die Alten und Schwachen zur Unmöglichkeit wird. Die aus dieser Tatsache folgenden gesundheitlichen und hygienischen Zustände sind unbeschreiblich.

Wer auf Lagerkost allein angewiesen ist, der geht mit Sicherheit in wenigen Monaten zugrunde. Die tägliche Nahrung enthält nach ärztlicher Berechnung rund 800 Kalorien (wobei ein nichtarbeitender Erwachsener normalerweise über 2000 Kal. benötigt) und besteht aus 300 Gramm Brot, 60 gr. Fleisch (inkl. Knochen) und zweimal täglich dünne Suppe aus Mohrrüben oder spärlichen Nudeleinlagen. Bei einer großen Anzahl von Todesfällen (vom 1. November bis Mitte Januar über 600, d. h. ca. 5% der Lagerinsassen) konnten die Ärzte nichts anderes feststellen als Unterernährung. Es ist zuzugeben, dass eine größere Anzahl älterer Leute gestorben sind. Eine Dysenterieepidemie und die außerordentliche Kälte forderten auch ihre Todesopfer. Die Ärzte sind gegenwärtig stark beunruhigt, weil sie trotz einer Autopsie eine z.Zt. gespenstig auftretende Hirnkrankheit nicht erklären können. Die Autopsie konnte schon deshalb kein befriedigendes Ergebnis zeitigen, weil trotz Forderung seitens der Lagerärzte (alles Internierte, z.T. Professoren und bekannte Kapazitäten) eine genaue mikroskopische Untersuchung nicht durchzusetzen war. Von dieser Krankheit werden hauptsächlich jüngere, intellektuelle, außerordentlich stark verlauste und abgemagerte Menschen befallen.“