Anton Räderscheidt
Akt am Barren
The painter of the New Objectivity
Akt am Barren, 1925
Öl auf Leinwand
Verbleib unbekannt
1930 bespricht Roh den „Akt am Barren“ in seinem Beitrag „zwei Menschen“, mit dem er an einem vom „Kunstblatt“ ausgeschriebenen Wettbewerb um die beste Kunstkritik teilnimmt. Er hebt die Gegensätze in Komposition und Inhalt hervor und liefert eine Bildbeschreibung. die mit bildmächtiger Sprache die Entfremdung und Isolation der Geschlechter analysiert und kongenial in Worte fasst:
Franz Roh 1930, S. 103 „Das Versteinerte des Vorganges, das unheimlich Stumme und Verkappte bei der doch so drastischen Gebärde des Sichöffnens. Seltsame Gegensätze: das undurchdringlich Eingekapselte des Mannes, der in seinem dunklen Anzug wie in einer Rüstung eingemauert steht, dagegen das unerbittliche Nacktsein des Weibes. Man spüre ferner, wie das Pechschwarze des Mannes hinter das Mondhelle der Frau tritt, wie seine geschlossene Form (alles bei ihm in ragenden Parallelitäten) das Geöffnete und Gewinkelte des Weiberkörpers steigert. Wie die dunkelkantige Modellierung gegen die weiße Schwel/form kontrastiert, wie schließlich das Gerät Diagonalzug und Raumspannung setzt, mitten in die räumlich ungewisse Grundebene, welche beide Körper flächig an sich saugen wollte. […] Metallische Verfestigung jeglicher Lebensregung. Letzte Menschen auf längst erkaltetem Gestirn, in absoluter Einsamkeit gegen sich selber und gegen ,jenen‘ Boden, der nie zur Tragfläche wird. Deshalb statt Schwergewichtes oder Ponderation marionettenhafes Eingespanntsein zwischen Himmel und Erde. Der Horizont schneidend durch die Hälse geführt. Die Blickspannungen der Köpfe im Unendlichen vernietet. Ein Wunder, daß so naturalistische Typen wie dieser Gent mit steifem Hut und Lackschuh und dieses bloße Aktmodell des Ateliers nirgends herausfallen. Geschieht durch verschwiegenste Mittel: ganz leise Zylindrisierung des Mannes lassen [sie] ihn ragen wie einen dunklen Maschinenkolben. Und unmerkliche Stilisierung etwa der Füße und Hände lassen das Weib beinahe ein Fremdwesen werden.“
… Indem Roh die Position der Aktfigur auf dem Barren umschreibt, aber nicht konkret benennt, blendet er den Aspekt des Turnens aus und abstrahiert das im Sportkontext skurrile. „unerbittliche Nacktsein“ von der Situation. Stattdessen stellt Roh das „Geöffnete“ des weiblichen Körpers, der als ,.weiße Schwellform“ beschrieben wird, dem Maschinenkolben“ des Männerkörpers gegenüber, der wiederum in einer Anzugrüstung steckt. Der im Subtext mitschwingende Gegensatz ist ein altes Paradigma: Die Frau gehört der Sphäre der Natur an, der Mann dem Bereich der Kultur, hier explizit der Technik.IV Roh betone so die jeder Zeitlichkeit enthobene Qualität des Magischen Realismus bei Räderscheidt. Die unüberbrückbare Entfremdung der Geschlechter ist im Bild zur Allgemeingültigkeit gesteigert: ,,Der Mensch wird genommen als schweigende Brücke zwischen Geburt und Tod, zwischen beiden Formen des großen Nichts. wie diese Leiber zwischen die Grenzen der Bildtafel selbst eingespannt sind, schreibt Roh zu Räderscheidt Bildkompositionen bereits Jahre zuvor. Das provokative Potential von Akt am Barren liege trotz der surrealen Zeitlosigkeit allerdings gerade in den bereits am Beispiel der Tennisspielerin festgestellten zeitspezifischen Kombination von Akt und Sport, der gegenläufigen Verschränkung von Sexualität, Enterotisierung. Neuer Frau und Emanzipation. In diesem Fall grätscht der Akt auf dem Sportgerät die Beine, was Beate Reese als Ersatz für verhinderte Sexualität,‘ Hans Jürgen Maes hingegen als aggressive Zurschaustellung derselben deuten. In der Tac verbinden sich für Zeitgenossen mit dem Barrenturnen erotische Assoziationen , auf die auch Joachim Ringelnatz in seinem Gedicht ,.Am Barren (Alla Donna tedesca) anspielt. In dem 1920 in der ersten Auflage veröffentlichten Band ,.Turngedichte“ ironisiert er sowohl die Verbindung von Sport und Emanzipation als auch die nationalvölkische Richtung des Turnens.
1 Walter, Maria: Anton Räderscheidts Paarbi1der in den 20er Jahren. In: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums und Berichte au.s dem Forschungsinstitut für Realienkunde [o. Jg.) 1991. S. 275-302. hier S. 285 und 292.
II Heusinger von Waldegg spricht vom „Zwang zu chaplinesker Maskerade des Mannes“.
(Heusinger von Walde,gg. Joachim: Zur Ikonographie der „ einsamen Paare“ bei Anton Räderscheidt. In: Pantheon )◄ ( 1979, H. 1). S. S9-68. hier S. 67.)
III Roh, Franz: Zwei Menschen. In: Das Kunstbl att 14 (1930). S. 100-103. hi er S. 103
.i v Vd, hierzu u.a. Pointon, Marcia: Naked Authority: The Body in Western Painting
18)0-1908. Cambridge. N ew York, Metbourne 1990. S. 17-3◄
v Ro h. Franz: Zur jüngsten niederrheinischen Malerei. In: Das Kunstblatt 10 (1926). S. 363-368. hier S. 366. vi Vgl. Reese. Beate: Melancholie in der Malerei der Neuen Sachlichkeit. Frankfurt a.M. u.a. 1998 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe XXVIII: Bd. 321) (zugl: Bochum. Univ .. Oiss„ 1996). s. 126. vii Vgl. Maes. Hans-Jürgen: ldentitatsbeschaffung in der einer totalitaren Gegenwart. Perspektive, Horizont und Balance in den Sportbildern Anton Räderscheidts. In: Anton Räderscheidt. Hg. von Werner Schafke und Michael Euler-Schmidt (Au sst. Kat. Köln, Josef H aubr ich-Kunsthalle). Köln 199). S. 9-18. S. 1◄.